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erkennen und in dieser Wissenschaft von sich selbst ihre Befreiung von allem Übel, von Sünde und Leidenschaft, von der Unruhe der rungen gewinnen. W^enn sie so in sich einkehrt, die Unwissenheit über ihr Wesen abfegt, dann erkennt sie sieh als das unbefleckte Brahm, dann ist sie mit Gott vereinigt. Gleich einem Flusse, der in das Meer sieh ergiesst, strömt die Seele mit Gott zusammen. Dies ist der Weg der Wissenschaft, welcher allein die Ruhe der Seligkeit gewährt i).
Dieses Emanationssystem der Vedentaphilosophie, d. h. der Philosophie, welche als orthodoxe Lehre auf die heiligen Schriften der bramanischen gion, auf die Veden, sich berief, scheint bei den Indern sehr alt und sehr verbreitet gewesen zu sein. Um so leichter konnten die Hauptgedanken selben auch über die Grenzen Indiens hinaus sich verbreiten. Wenn ich es für die entferntere Quelle der Emanationslehren in der alexandrinischen Schule halte, so stützt sich dies nicht aHeia auf die früher angeführten Gründe, sondern auch auf eine Vergleichung der griechisch-orientalischen mit der in^ dischen Lehre. Hierüber habe ich noch einige Worte zu sagen.
Zuerst ist es bemerken&werth, dass mit der Emanationslehre der philosophie auch die Lehre von der Rückkehr der Dinge zu Gott verbunden ist, obgleich sie im Princîp der Emanationslehre nicht liegt. Eine solche Verbindung nun wiederkehrend auch in der alexandrinischen Schule legt lich die Vermuthung noch näher, dass die ganze Vorstellungsweise dieser von einer Überlieferung ^us sich gebildet habe. - Alsdann aber wird man bemerken können, dass der Vedentaphilosophie die Rückkehr der Seele zu Gott viel leichter und folgerichtiger sich ergiebt als der Emanationslehre der nischen Schule. Denn jener ist die Seele nicht, wie dieser, eine Emanation, sondern ein Theil Gottes ; sie braucht sich daher nur als solchen zu erkennen um mit ihra zusammenzufliessen. Viel schwieriger wird es der alexandrinischen Emanationslehre eine solche Rückkehr der Seele zu Gott herauszubringen. Es wird wohl auch die Meinung zu Hülfe gerufen, dass die Seele ein Theil Gottes sei 2); aber in der Anlage des Systems lag dieses nicht, vielmehr gehört
1 ) S. m. Gesch. der Phil. IV. S. 435 f.
2 ) Plot. enn. V. 1. 1, 1.