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Zum Gedächtnis:

Das Jahr 1873 ist in Lies Leben besonders denkwürdig, weil in den Herbst dieses Jahres die Anfänge seiner Theorie der formationsgruppen fallen. Allem Anscheine nach wurde er auf diese Theorie geführt, als er die bitegrationstheorie der gleichungen mit bekannten infinitesimalen Transformationen weiter ausbaute und für den Fall der vollständigen Systeme durchführte. Das betreffende Problem in seiner allgemeinsten Fassung konnte nämlich auf ein Problem derselben Art zurückgeführt werden, wo die bekannten infinitesimalen Transformationen in gewissen teristischen Beziehungen zu einander stehen, und es stellte sich heraus, dafs diese Beziehungen nichts anderes aussagen, als dafs man es mit den infinitesimalen Transformationen einer endlichen con- tinuirlichen Gruppe zu thun hat. Jetzt fafste er den kühnen danken, alle endlichen continuirlichen Transformationsgruppen auf Normalformen zu bringen, und da ihm das bei den Gruppen auf der Geraden ziemlich leicht gelang sie konnten alle bei geeigneter Wahl der Veränderlichen projective Form erhalten , so wagte er sich an die Bestimmung aller endlichen continuirlichen Gruppen von Punkttransformationen und von Berührungstransformationen der Ebene. Durch geradezu schreckliche Rechnungen, so drückte er sich später selbst aus, gelang es ihm während des Winters 1873—74, alle diese Gruppen auf eine begrenzte Anzahl von bestimmten Typen zurückzuführen. Lie hat ja später die Methoden zur stimmung der Gruppen so vervollkommnet, dafs die Lösung der Aufgabe für die Ebene verhältnismäfsig sehr einfach ist. Dafs er aber damals, wo seine Methoden noch so unvollkommen waren, nicht erlahmte, sondern schliefslich durchkam, ist ein Beweis von Energie, den ihm nicht so leicht einer nachmachen wird. Man weifs nicht, was man mehr bewundern soll, die Kühnheit des Gedankens, alle Gruppen der Ebene zu bestimmen, oder die Ausdauer, mit der er diesen Gedanken durchgeführt hat.

Die erste Mitteilung, die er über seine neue Theorie lichte, erschien im December 1874 in den Göttinger Nachrichten. Er wies dabei nachdrücklich auf die Bedeutung hin, die seine Gruppenbestimmung für die Theorie der Differentialgleichungen haben würde; im Grunde war ja die ganze Bestimmung nur unternommen worden, um diese Theorie zu fördern. Das Problem, eine liche Differentialgleichung in der Ebene zu integriren, ist nämlich, sobald diese Differentialgleichung eine Gruppe gestattet, in zwei Aufgaben zerlegt: erstens mufs die Gruppe der Gleichung bestimmt, das heifst, durch geeignete Wahl der Veränderlichen auf eine der von Lie gefundenen Normalformen zurückgeführt werden; zweitens mufs die Differentialgleichung integrirt werden, die aus der benen durch Einführung der neuen Veränderlichen entsteht, und die nunmehr eine bekannte Gruppe gestattet. Jedes dieser Probleme