52 Heinz Balmer : Johann Jakob Balmer
in die «Bruchlehre und ihre Anwendungen» eingeweiht. Er selber zeichnete und schrieb ungewöhnlich fein und schön.
Er war eine gütige Erzieherpersönlichkeit. Die Mädchen trieben es oft arg bei ihm. Sie hatten keine Ahnung von seiner geistigen Bedeutung. Er strafte kaum und war wie ein lieber Vater, dem man alles anvertrauen konnte. Sein stilles, ernstes Wesen prägte sich ein. Auf den Schulspaziergang pflegte er ein Fläschchen sprit und einen selbstgeklebten Papierballon mitzunehmen, um ihn steigen zu lassen.
Im Herbst 1865 hat sich Balmer für Darstellende Geometrie habilitiert. Er blieb Privatdozent bis 1890, las aber zum letztenmal im Sommer 1885. Sein Wirken an der Hochschule war bescheiden. Er kündigte von 1865 bis 1888 insgesamt 70 Vorlesungen an: Darstellende Geometrie, Geometrische Constructionen, Perspective, phische und perspectivische Darstellung von Krystallformen des regulären Systems, Cycloiden, Schattenlehre und Gnomonik, daneben «Über die Bauwerke des alten Jerusalem» (1866) und «Metaphysisch-mechanische Erklärung der physikalischen Grundkräfte» (1868). Doch für solche Themen fanden sich keine Hörer. Etwa 50 von den 70 Vorlesungen kamen nicht zustande. Immer wieder heisst es in Balmers mesterberichten: «Für die von mir angekündigten Vorlesungen haben sich keine hörer gemeldet.»
Die^ Hörerzahlen an der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät waren damals niedrig. Am meisten hatten Hagenbach-Bischoff in Physik und Julius Pic- CARD in Chemie. (Um 1870 herum waren dies gegen 20.) Balmers Haupttätigkeit an der Hochschule fiel in die Jahre 1865 bis 1877. Hernach las er nur noch in den mern 1879, 1882 und 1885 vor einem, vier und zwei Zuhörern. Die Entwicklung der Hochschule ging über ihn hinweg. Während die Hörerzahl sich bei seinen Kollegen verdoppelte, fand der alternde Balmer niemanden mehr, der seinen nungen folgen wollte. Einer seiner ehemaligen Schüler, Professor Albert Riggen- BACH, erzählt: «Manche der Figuren, die er mit vollendeter Sicherheit und in glaublicher Schönheit an der Wandtafel entwarf, trieben seinen Schülern den Angst- schweiss auf die Stirn, wenn sie versuchten, dieselben in einigermassen ähnlicher Form zu Papier zu bringen. Hatte sich aber der Zuhörer durch die Mühsale der nischen Schwierigkeiten hindurchgearbeitet, so wurde er reichlich entschädigt durch den hohen geistigen Genuss, den Balmers Darlegungen gewährten, wenn er an der Hand zum Beispiel von Schinkelschen Entwürfen erläuterte, welch feine Wirkung der Künstler durch zielbewusste Abweichung von den mathematischen Gesetzen zu erreichen vermag. Vieles, was Balmer in seinen Vorlesungen vortrug, war das Ergebnis seiner eigenen Forschung; einzelnes davon hat er in einem Programm der hiesigen Töchterschule veröffentlicht und zusammenfassend später in der bei Vieweg und Sohn in Braunschweig 1887 erschienenen Schrift «Die freie Perspektive», in welcher recht eigentHch Balmers Talent, mit den einfachsten Mitteln Grosses zu erreichen, hervortritt.»
Meist las Balmer vor einem oder zwei Hörern. Nur fünfmal hatte er drei oder mehr. Nicht selten aber kamen die gleichen mehr als ein Semester zu ihm. Fast ausnahmslos waren sie fleissig und bereiteten ihm Freude, so Xaver Arnet, der Luzemer Lehrer, Physiker, Meteorologe und Seenforscher, Heik[RICH Banga von Liestal, der spätere Leiter des Spitals von Chicago, Christian Bühler, der spätere Churer Kantons-